"Die Gründung von Furore war für viele eine Provokation"
Ein Gespräch mit der Verlegerin Renate Matthei
Ein Verlag, der sich für Musik von Frauen und Frauen in der Musik stark macht: In diesem Jahr wurde der Furore Verlag aus Kassel mit dem Sonderpreis des Hessischen Verlagspreises ausgezeichnet. Jahrhundertelang wurden Komponistinnen ignoriert oder missachtet, deshalb hat es sich Renate Matthei seit 35 Jahren zur Aufgabe gemacht, Frauen im Konzertleben wieder hörbar zu machen und ihnen zum Durchbruch im internationalen Konzertbetrieb zu verhelfen. Sie veröffentlicht ausschließlich Musiknoten, Bücher und CDs von Komponistinnen. Ein Gespräch über Genderfragen und darüber hinaus.
In einem Interview haben Sie mal geschildert, dass Sie sich auf einer Musikmesse fragten, warum so wenige Komponistinnen bekannt waren – und beschlossen an dieser Situation etwas zu ändern. Haben Sie mittlerweile eine Antwort darauf gefunden, warum die Musik lange eine Männerdomäne war?
Der Wahrheit die Ehre, ich habe mich gewundert, warum überhaupt keine Komponistinnen auf der Musikmesse vertreten waren. Die Frauen holen auf, ja das mag sein. Aber wenn wir schauen und hören, welche Opern aufgeführt werden, welche Orchesterwerke gespielt werden, was wir aus dem Radio hören und was in den Schulbüchern steht und so weiter und so weiter. Der Anteil der Komponistinnen liegt inzwischen bei ca. 8 Prozent. Das ist nicht viel. Vor 35 Jahren lag der Anteil der Komponistinnen zwischen 0 und 1 Prozent. Das ist die Veränderung, die stattgefunden hat!
Das Konzertpublikum in der klassischen Musik ist traditionell konservativ und das war sicherlich mit ein Grund. Darüber hinaus hat das Thema auch eine gesellschaftspolitische Dimension. Das zeigt unter anderem auch die aktuelle politische Diskussion um Rassismus und Patriarchat in der klassischen Musik. Forderungen, diskriminierende Strukturen auch in der Musik zu überwinden, einen männlich und weiß-(europäisch) geprägten Kanon klassischer Musik weiter zu öffnen, nehmen auch in Deutschland Fahrt auf.
1986 gründeten Sie in Kassel den Furore Verlag. Machten Sie damals Furore mit der Idee, ausschließlich Werke von Frauen zu veröffentlichen?
Nun, die Gründung von Furore hat tatsächlich hohe Wellen geschlagen. Ich denke, sie war für viele eben nicht nur etwas ganz neues, längst überfälliges, sondern auch eine Provokation. Frauen können nicht komponieren, lautete damals ein gängiges Vorurteil. Viele Musikverleger fühlten sich offenbar vorgeführt oder bedroht. Bis heute verstehe ich nicht, warum Kollegen und Kolleginnen sich nicht mal selbst auf den Weg gemacht hatten, um nach Komponistinnen zu schauen. In den Archiven der etablierten Musikverlage hätten sich da sehr wohl Werke von Frauen finden lassen. Es gab in der Musikverlagsbranche ja auch nicht nur Verleger. Es gab auch Verlegerinnen. Doch die Haltung war die gleiche: die Leugnung von Komponistinnen. Bis in die 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts wurden deren Werke noch weitgehend ignoriert.
International gab es großes Aufsehen und große Begeisterung über die Verlagsgründung – selbst der "Daily Telegraph" in Sydney titelte 1988 anlässlich der German Music Fair: "Renate knows there is a female Beethoven".