Das neue Urheberrecht
Interview mit Medienanwalt Christian Hoppenstedt
Seit Jahren wird die Reform des Urheberrechts verhandelt – im Juni hat der Bundestag grünes Licht gegeben. Welche Veränderungen bringt die Urheberrechtsreform für Kultur- und Kreativschaffende in Deutschland? Welche Rolle werden die viel diskutierten Uploadfilter tatsächlich spielen? Über diese und weitere Fragen haben wir mit Christian Hoppenstedt, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in Frankfurt, gesprochen.
Herr Hoppenstedt, warum überhaupt eine Reform des EU-Urheberrechts?
Die Aufgabe des Urheberrechtes ist es, einen fairen Interessenausgleich zwischen Urhebern, Rechteverwertern und Werknutzern zu gewährleisten. Die technische Weiterentwicklung einerseits und die fortschreitende Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes anderseits haben eine Anpassung der „Spielregeln“ erforderlich gemacht. Denn insbesondere durch Online-Plattformen, auf denen Nutzerinnen und Nutzer ihren selbst erstellten Content öffentlich zugänglich machen können, hat sich eine Schieflage zulasten der Urheber entwickelt, die vom Markt nicht ausreichend selbst reguliert wurde.
Welche wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereiche sehen Sie als besonders beeinflusst?
Ein zentraler Aspekt der Urheberrechtsreform ist die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Upload-Plattformen, auf denen Nutzer ihre selbst erstellten Inhalte (User Generated Content) wiedergeben, wie etwa YouTube oder Facebook. Diese Plattformen sollen künftig für geschützte Inhalte Dritter, die dort von Nutzern verbreitet werden, möglichst entsprechende Lizenzen von den Urhebern erwerben oder nicht erlaubte Inhalte blockieren. Insofern profitieren in der Theorie die Urheber, die Plattformern sind wirtschaftlich betroffen und für die Nutzer soll sich wenig ändern.
Was ändert sich für Diensteanbieter konkret?
Die große Neuerung ist tatsächlich die urheberrechtliche Verantwortlichkeit der Plattformen. Nun besteht für die Diensteanbieter grundsätzlich eine Gefahr der unmittelbaren Haftung auf Schadensersatz bei unerlaubter Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke. Bisher galt für Plattformen ein Haftungsprivileg, nämlich das Prinzip „Notice & Takedown“. Erst nach Kenntnis einer Rechtsverletzung konnte der Diensteanbieter als Störer in Anspruch genommen werden und musste den rechtswidrigen Inhalt beseitigen.
So ähnlich hat der deutsche Gesetzgeber nun die tatsächliche Haftung im „Gesetz über die urheberrechtliche Verantwortlichkeit von Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten“ (Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz – UrhDaG) ausgestaltet: erst nach Abschluss eines Beschwerdeverfahrens haftet der Diensteanbieter urheberrechtlich auf Schadensersatz, wenn er zuvor seinen Sorgfaltspflichten (lizenzieren und blockieren) nachgekommen ist. Im Ergebnis haftet der Diensteanbieter im Zweifel also doch nicht für Schadensersatz, wenn er zunächst sorgfältig war und erst nach Abschluss eines Beschwerdeverfahrens den nicht erlaubten Inhalt sperrt.
Welche Risiken sehen Sie in Uploadfiltern?
Es besteht nur theoretisch die Gefahr des „Overblocking“, also konkret, dass eine Plattform, auf der User ihre selbst generierten Inhalte hochladen können, aus Vorsicht lieber zu viel blockiert als zu wenig. Das wäre beispielsweise bei einer Funktionsweise der automatisierten Uploadfilter zu befürchten, die eine vorherige „Anhörung“ beider Seiten vor einer Veröffentlichung nicht ausreichend vorsieht, wie es in der Debatte um Art 13, später Art 17 der „Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“ (DSM-Richtlinie) vor zwei Jahren befürchtet wurde. Bei der Umsetzung der DSM-Richtlinie wollte der deutsche Gesetzgeber ausdrücklich die Einführung von solchen Uploadfiltern vermeiden.
Um einer Haftung für unrechtmäßige öffentliche Wiedergaben von urheberrechtlich geschützten Werken zu entgehen, muss der Diensteanbieter bestimmte Sorgfaltspflichten beachten. Das UrhDaG regelt diese Pflichten im Hinblick auf den Erwerb von vertraglichen Nutzungsrechten (§ 4 UrhDaG), die Blockierung unerlaubter Nutzungen (§§ 7 und 8 UrhDaG) sowie die öffentliche Wiedergabe mutmaßlich erlaubter Nutzungen (§§ 9 bis 12 UrhDaG). In jedem Fall hat der Diensteanbieter hohe branchenübliche Standards unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einzuhalten.
Das neue Gesetz enthält zudem Bestimmungen, die dem Missbrauch der geschaffenen Mechanismen entgegenwirken: Dem „Overblocking“ (fälschliches Blockieren erlaubter Uploads durch die Plattform), der „False Copyright Claim“ (fälschliche Anmeldung fremder oder gemeinfreier Inhalte durch vermeintliche Rechtsinhaber) und dem „False Flagging“ (fälschliches Kennzeichnen als erlaubte Nutzung durch Uploader).
Um unverhältnismäßige Blockierungen beim Einsatz automatisierter Verfahren zu vermeiden, sind mutmaßlich erlaubte Nutzungen bis zum Abschluss eines Beschwerdeverfahrens (§ 14 UrhDaG) öffentlich wiederzugeben. Es fragt sich also im Ergebnis, ob die Diensteanbieter ihr bisheriges Geschäftsmodell fortsetzen werden und dazu die nun erforderlichen vertraglichen Nutzungsrechte erwerben, oder aufgrund der neuen gesetzlichen Bestimmungen darauf verzichten und lieber Inhalte vorsorglich durch Uploadfilter blockieren (wir erinnern uns an den Lizenz-Streit zwischen YouTube und der GEMA).