Portrait von Katja Kümmel
© Katja Kümmel

Die Zukunftgestalterin

Das Ziel: Bürokratieabbau. Der Weg: Kreativität. Ein Gespräch mit Katja Kümmel, Referatsleiterin im Referat Digitalisierung und Informations- und Kommunikationstechnik sowie stellvertretende Abteilungsleiterin der Zentralabteilung des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum, über das große Potenzial der Kreativwirtschaft als Sparringspartner für die Verwaltung - und Gelingensfaktoren sowie Stolpersteine.

Was ist Ihr beruflicher Hintergrund und inwiefern hat dieser mit Bürokratie zu tun?

Ich bin seit 2016 Referatsleiterin im Referat Digitalisierung und Informations- und Kommunikationstechnik sowie seit 2023 stellvertretende Abteilungsleiterin der Zentralabteilung des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum (HMWVW). In meinen bisherigen beruflichen Stationen hatte ich immer Berührungspunkte mit dem Thema Bürokratie.  Mein Team und ich sehen es als unsere Aufgabe, bürokratische Hürden immer dann abzubauen, wenn wir in der Verwaltung auf solche stoßen und diese von uns beeinflussbar sind.

Ich komme täglich mit den verschiedenen positiven und negativen Seiten von Bürokratie in Berührung. Wichtig ist mir hervorzuheben, dass Bürokratie ja durchaus auch sehr positive Aspekte hat, wie beispielsweise Berechenbarkeit, Fairness, Rechtssicherheit und Transparenz. Öffentliches Handeln der Verwaltung ist regelbasiert, Bürokratie und Verwaltung sind Schutz vor Willkür, auch Unternehmen profitieren von der Regelhaftigkeit. Zu beachten ist außerdem, dass in Rechtsstaaten mit pluralen, offenen Gesellschaften die Bürokratie der Demokratie dient.

Mit welchen Herausforderungen im Bereich Bürokratie sind Sie schon direkt in Kontakt gekommen?

Grundsätzlich schätze ich den Verwaltungskontakt zwischen Bürgerinnen, Bürgern, Unternehmen und Verwaltung als positiv ein. In bisher allen beruflichen Positionen kann und konnte ich sehen, mit wieviel Engagement die Kolleginnen und Kollegen ihre Arbeit erledigen. Hürden senken würde ich unter anderem (kleine Auswahl)

  • im Bereich der Beantragung von Förderleistungen durch die kommunale Ebene (hier müssen Kommunen schon oftmals einiges leisten, um Landes- oder Bundesmittel zu erhalten),
  • bei der „Wiederverwendung“ von dem Staat bereits vorliegenden Daten (Einfach-Eingabe statt in unterschiedlichen Themengebieten jedes Mal wieder),
  • beim „Zusammen denken“ von Dingen, die Verwaltung für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen tut mit Dingen, die Verwaltung intern tut (warum gibt es z. B. einen Digi-Check für Unternehmen, nicht aber für die Verwaltung selbst)
  • beim Matchen/Zusammenführen von privaten Dienstleistungen, die Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen in Anspruch nehmen sollen, mit vom Staat angebotenen Dienstleistungen.

Haben Sie bereits konkrete Projekte betreut, die auf die Optimierung von Bürokratie gezielt haben?

Für das letztgenannte Thema haben wir Ende des Jahres 2021 ein Projekt in unserem Haus gestartet, den „Ideenwettbewerb – Hybrides eGovernment“ (digitale Verwaltung). Dieser hatte einen besonderen Fokus auf Startups (sogenannte GovTech Startups). Das Projekt besteht aus drei Phasen. Die ersten beiden Phasen sind abgeschlossen, die dritte Phase werden wir Anfang 2025 beenden. Die beiden Entwicklungsprojekte werden dann nach derzeitiger Planung erfolgreich in den Regelbetrieb übergehen.

Warum wurde der Ideenwettbewerb – Hybrides eGovernment initiiert, welche Herausforderung stand am Anfang?

Begonnen haben wir mit der Ideenfindung, die sich stark an den Bedarfen der Fachbereiche unseres Hauses orientiert hat.

Wir haben damals in mehreren Terminen die Bedarfe der Fachreferate in der täglichen Arbeit herausgearbeitet, die sogenannte Challenge-Definition. Entstanden sind folgende Challenges:

- Challenge 1: Offene Challenge
Wir suchen nach digitalen Lösungen, die Verwaltungsleistungen des HMWVW mit privatwirtschaftlichen Leistungen verknüpfen.

- Challenge 2: Quick-Check Bauantrag
Wie können Bürgerinnen und Bürger, die ein Bauvorhaben planen, bereits vor Stellung des formellen Bauantrages eine Rückmeldung erhalten, ob sie überhaupt einen Bauantrag stellen müssen, und falls ja, welche Schritte sie einleiten müssen?

- Challenge 3: Quick-Check ausländische Fahrerlaubnis

Wie können Personen mit ausländischen Fahrerlaubnissen bei einem Umzug nach Deutschland unkompliziert erfahren, ob sie die Fahrerlaubnis ihres Heimatlandes umschreiben lassen müssen, und falls ja, welche Schritte sie einleiten müssen?

Insgesamt wurden 28 Bewerbungen von Startups eingereicht. Neun Startups wurden für die sog. Prototyping-Phase ausgewählt. Die Startups haben folgende Resultate erarbeitet: Klickbarer Prototyp, Demo Video, Business Model Canvas, Zielbild der Software-Architektur. Danach folgte eine Prämierung von neun Bewerbungen mithilfe einer Jury.

Was war die Initialzündung?

Die Initialzündung war die „Strategie Digitale Verwaltung Hessen 4.0“. Wir haben seinerzeit in Abstimmung mit dem Hessischen Ministerium für Digitalisierung eines der Projekte der Strategie mit Leben gefüllt. Ziel des Projektes war die nutzerfreundliche Verknüpfung von privatwirtschaftlichen Dienstleistungen und Verwaltungsverfahren, sprich das hybride E-Government.

Wie ist das Projekt verlaufen? Welche Meilensteine gab es?

Das Projekt lässt sich in 3 Phasen/ Meilensteine unterteilen:

1) Challenge-Definition und Durchführung des Wettbewerbs

Siehe obige Ausführungen unter Punkt „Warum wurde das Projekt initiiert, welche Herausforderung stand am Anfang?“

2) Ausschreibung/ Vergabeverfahren mittels eines zweistufigen Verhandlungsverfahrens und Zuschlagserteilung

Um insbesondere innovativen Startups eine Teilnahme am Vergabeverfahren zu ermöglichen, wurde das Vergabeverfahren wie folgt gestaltet:

  • Ausschreibungsunterlagen: Die Leistungsbeschreibung konzentrierte sich auf funktionale Vorgaben, sodass Raum für innovative technische Lösungen geschaffen wurde.
  • Bewertungskriterien: Eignungskriterien der Bieter zur Ausgabenausführung wurden auf ein erforderliches Minimum begrenzt.
  • Verhandlungsverfahren: Das Vergabeverfahren verläuft für die Bieter mehrstufig, mit verfahrensintegrierten Verhandlungen mit den Bietern.

3) Umsetzung der beiden Quick-Checks (QC Bauantrag und QC Fahrerlaubnis) mit den Pilotbehörden und Startups.

Die Ausschreibungen haben gewonnen: &effect data solutions GmbH für den Quick-Check Bauantrag und NETQUES. daten & diagnostik GmbH für den Quick-Check Ausländische Fahrerlaubnis. Die Entwicklungen schreiten in beiden Projekten voran und werden geplant im ersten Quartal 2025 abgeschlossen. Es erfolgen fachliche und technische Tests und eine abschließende Abnahme durch das Hessische Wirtschaftsministerium. Darauf aufbauend folgt eine Entscheidung für den Go-Live sowie den Übergang in die Betriebsphase.

Welcher Output ist für die Beteiligten entstanden?

Entstanden sind zwei Quick-Checks, die darauf ausgerichtet sind, konkrete Probleme von Bürgerinnen und Bürgern zu lösen. Der Quick-Check Ausländische Fahrerlaubnis adressiert die Herausforderung für Zugezogene, die Gültigkeit ihrer Fahrerlaubnis zu prüfen. Der Quick-Check Bauantrag zielt darauf ab, Bürgerinnen und Bürgern eine Hilfestellung dabei zu geben, ob sie für ein Bauvorhaben einen Bauantrag benötigen.

Insbesondere beim Quick-Check Bauantrag sind perspektivisch Weiterentwicklungen im Sinne des hybriden eGovernment denkbar, zum Beispiel durch eine Integration des Quick-Checks in das Marketing von privaten Baudienstleistern. Zugleich stellen die Quick Checks eine Durchgängigkeit zu Verwaltungsleistungen sicher, indem sie die für die Antragstellenden zuständigen Vollzugsstellen identifizieren.

Was sind aus heutiger Sicht Gelingensfaktoren und Stolpersteine?

Gelingensfaktoren:

  • Enge Begleitung der Startups während der Prototyping-Phase
  • Startup-fokussierte Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit
  • Enge Einbindung von Fachreferaten im Ministerium und Challenge-Gebenden
  • Schaffung von Anreizen für Startups
  • Startup-freundliche Ausschreibung inklusive Fokus auf funktionale Lösungsbeschreibung („Raum lassen für Art und Weise der Lösung des ausgeschriebenen Beschaffungsbedarfs“)

Stolpersteine: 

  • Dauer des Gesamtverfahrens
  • Unsicherheiten in der Finanzierung für Startups ggf. schwierig
  • zweistufiges Vergabeverfahren mit längerer Dauer verbunden


Welche Rolle spielt Digitalisierung für die Bürokratie Ihrer Meinung nach?


»Gute und konsequente (Ende-zu-Ende) Digitalisierung kann bürokratische Aufwände verringern. Werden ausschließlich papierbasierte Verfahren digitalisiert, ist das für mich nicht ausreichend.«

Wichtig ist, den gesamten Verwaltungsprozess zu beleuchten, bei verschiedenen Prozessteilen Schritte zu hinterfragen oder auch wegzulassen und sich von einer 1:1-Umsetzung zu lösen. Ein schlechter nicht-digitaler Prozess wird durch Digitalisierung nicht besser.

Insofern und wenn hier unnötige Hürden auffallen, ist es wichtig, auf den jeweiligen Bundesgesetzgeber zuzugehen oder als Landesgesetzgeber selbst aktiv zu werden.

    Und welche Rolle kann die Kreativwirtschaft spielen?

    Ein gezieltes Marketing für die Zielgruppen ist essentiell bei der Einführung von neuen Leistungen. Hier kann die Kreativwirtschaft unterstützen.

    Kennen Sie weitere Projekte aus dem Bereich „Kreative Bürokratie“?

    Ich bin ein großer Fan des „Creative Bureaucracy Festival“. Hier kann man sehen, dass Verwaltung nicht nur vereinzelt, sondern an ganz vielen Stellen unglaublich kreativ agiert. Besonders gefreut hat mich beispielsweise das Projekt „Rise and Shine“ aus Šentjur, Slowenien, welches 2023 den „Young Faces – Young Spaces Award“ gewonnen hat. Hierbei wurden Kinder und Jugendliche (13 bis 29 Jahre) bei der Gestaltung der Flächenkommune intensiv beteiligt.

    Haben Sie weitere Pläne für Projekte?

      Ganz viele! Aktuell gestalten wir beispielsweise verschiedene Vorhaben im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) mit, welche uns (hoffentlich) in Zukunft die interne Verwaltungsarbeit vereinfachen werden. Hierzu sind wir in landesinterner und bundesländerübergreifender Abstimmung. Wenn Digitalisierung uns Arbeit abnehmen oder erleichtern kann, gleichen wir offenen Personalbedarf aus und gewinnen beziehungsweise behalten Zeit für kreative Prozesse. Das finde ich wichtig, damit Verwaltung sich stetig weiterentwickelt.

      Perspektivisch wünschen würde ich mir, die Bereiche „Verwaltungsdigitalisierung“ und „Digitalisierung in der Wirtschaft“ enger zu verweben.

      Ich gestalte gerne Zukunft und besonders freut es mich, wenn ich dies in Zusammenarbeit mit anderen tun kann. Ziel sollte aus meiner Sicht immer eine Win-Win-Situation für die Gesellschaft und die Verwaltung sein. Die Gesellschaft erhält gute staatliche Leistungen, die das Vertrauen in Politik und Verwaltung stärken und die Mitwirkenden in der Verwaltung wachsen an ihren Aufgaben und empfinden Freude an der Gestaltung und Weiterentwicklung.

      Veröffentlicht: 24.02.2025